Sicherheit durch Videoanalyse

Videoanalysen spüren Personen auf, die ziellos herumstehen oder sich überdurchschnittlich schnell durch eine Menschenmenge drängeln. Auch herrenlose Gepäckstücke kann die Software finden. Bald soll es auch möglich sein, Personen zu erkennen, die im Begriff sind, unerlaubte Handlungen zu begehen.

Schon heute gibt es zu viele Überwachungsvideos, auf denen nur belanglose Szenen zu sehen sind. Kein halbwegs vernünftiger Mensch hat Lust, sich stundenlang Videos anzuschauen, auf denen nichts passiert. Durch gezielte Videoanalysen der Überwachungsaufnahmen könnte die Sicherheit tatsächlich verbessert werden, doch nach Expertenmeinung ist die automatische Analyse von Videoaufzeichnungen noch nicht ausgereift.

Für Courtney Dillon Pedersen, Kommunikationsmanager bei der Firma Milestone Systems, die das XProtect Analytics-Framework zur Integration von vernetzten Kameras und Analysesoftware entwickelt, steht fest, dass die „Videoanalyse anfangs viel zu sehr gehypt wurde.“ Und für Johan Molin Paulsson, Technologievorstand des Kameraherstellers Axis Communications, ist klar: „Videoanalysen sind für wirklich wichtige Standorte nicht geeignet.“ Die Betreiber von Hochsicherheitszonen können sich nicht darauf verlassen, dass ein vollautomatisches System ganz ohne menschliche Kontrolle Einbrecher abfängt.

Aber wofür ist die Videoanalyse dann geeignet? „Sie unterstützt die Betreiber“, meint Paulsson. „Sie verbessert den Nutzen der Videoüberwachung“, glaubt Pedersen.

Rasmus Crüger Lund, Systemarchitekt bei Milestone, wird präziser: „Die Videoanalyse kann den Kontrolleuren helfen, ihre Aufmerksamkeit auf relevante Ereignisse zu konzentrieren. Da die Software unwichtige Information herausfiltert, kann das Sicherheitspersonal schneller reagieren, wenn wirklich etwas passiert.“

Der Hype, auf den Pedersen anspielt, basiert auf vollmundigen Behauptungen, die Videoanalyse könne echte Sicherheitsbedrohungen eigenständig erkennen. Das ist bis heute nicht der Fall, rückt aber langsam in den Bereich des Möglichen. Die Analyse kann feststellen, ob jemand in die falsche Richtung geht oder sich in einer Menschenmenge zu schnell bewegt. Sie kann herumstehendes Gepäck und ziellos herumstreifende Personen erkennen und auf Personen aufmerksam machen, die sich hinter anderen durch Drehkreuze drängeln. Sie kann die Nummernschilder von Autos erfassen und Alarm schlagen, wenn Personen in gesperrte Bereiche eindringen.

Da die Software nicht in der Lage ist, die Sicherheitsrelevanz von Ereignissen realistisch einzustufen, kann sie lediglich den Betreiber auf die Ereignisse hinweisen. Dieser muss dann selbst entscheiden, was zu tun ist. Dabei handelt es sich nicht um Fehlalarme, denn ohne die Videoanalyse hätten die Sicherheitskräfte die Aufnahmen selbst auswerten müssen, bevor sie entscheiden können, ob weitere Maßnahmen erforderlich sind. Dennoch irritieren die scheinbaren Fehlalarme. Werden sie zu oft von der Software gemeldet, können sie das Vertrauen in die Anlage untergraben.

Paulsson ist überzeugt, dass eine gute Ausbildung des Sicherheitspersonals wichtig ist. „Die Videoanalyse ist sicherlich zuverlässiger als ein übernächtigter Kontrolleur um drei Uhr morgens“, glaubt er. „Die Analysesoftware entlastet den Kontrolleur. Solange sie ihren Dienst verrichtet, muss der Kontrolleur erst aufmerksam werden, wenn ein Alarm gemeldet wird. Dabei gibt es manchmal natürlich auch Fehlalarme, aber das ist kein großes Problem, wenn die Mitarbeiter entsprechend geschult worden sind.“

James Orwell, Chef einer Forschungsgruppe für die visuelle Überwachung, glaubt, dass ein Grund für die Fehlalarme die reichlich primitive Infrastruktur vieler Videoüberwachungsanlagen ist. „Oft ist die Auflösung der Kameras eher bescheiden. Die analogen Videobilder werden in Echtzeit digitalisiert und dabei meist schlecht komprimiert“, sagt der Wissenschaftler, der an der Kingston-Universität in London tätig ist. „Verglichen mit den animierten Szenen in Dokumentarfilmen befinden wir uns noch in der Steinzeit.“

Langsam zeichne sich aber eine Besserung ab, glaubt Paulsson, denn moderne, hochauflösende Videokameras würden bessere Überwachungsanlagen möglich machen.

Für Lund ist die komplexe Einstellungsprozedur vieler Anlagen ein zusätzlicher Grund für die Probleme. Das müsse aber nicht so bleiben: „Bald werden sich die Anlagen selbst konfigurieren oder zumindest der Zentralsteuerung mitteilen können, welche Parameter sie nicht eigenständig einstellen können“, glaubt er. „Die besten Anlagen werden lernfähig sein und selbst erkennen, welche Ereignisse normal sind und welche nicht.“

Je präziser die Videoanalyse funktioniere, desto zuverlässiger könnten sicherheitsrelevante Situationen erkannt werden, glaubt Lund. Er verfolgt eine Reihe von Forschungsprojekten zur Erkennung abweichenden Verhaltens: „Forscher untersuchen minimalste Abweichungen in der Mimik und Gestik von Personen, die Rückschlüsse auf unerlaubte Absichten zulassen können.“

Bislang funktionieren die Erkennungsverfahren nur unter kontrollierten Bedingungen. Die biometrische Identifizierung funktioniert erst dann zuverlässig, wenn sich die Personen beim Blick in die Kamera nicht bewegen. „Die Algorithmen sind noch zu primitiv“, sagt Lund, „aber es gibt schon erste Projekte zur dreidimensionalen Erkennung, bei denen mehrere Kameras zum Einsatz kommen.“

Ein Forscherteam an der Kingston-Universität arbeitet an Verfahren zur Erkennung von Personen, die versteckt unter ihrer Kleidung Schusswaffen tragen. Jean-Christoph Nebel erklärte der Website videoanalytics.info, dass sich bei einer Person, die normalerweise keine Schusswaffe mit sich führt, „der Gemütszustand ändert, sobald sie eine Waffe trägt.“

Erfahrenen Sicherheitsprofis werden Videoaufnahmen von Kriminellen gezeigt, die kurze Zeit später mit Schusswaffen Verbrechen begingen. Zum Vergleich müssen sich die Profis auch Aufnahmen von unbewaffneten Normalbürgern anschauen und einen Vermerk machen, wenn ihnen etwas verdächtig vorkommt. Die Notizen werden dann von einem maschinellen Lernsystem verarbeitet.

Orwell glaubt an das Potenzial maschinellen Lernens: „Wenn die Sicherheitskräfte verdächtige Situationen kennzeichnen können, lassen sich auf dieser Datenbasis Algorithmen erstellen und verfeinern. Da die Sicherheitsleute auch dann Situationen kennzeichnen, wenn sie nicht genau wissen, warum sie ihnen verdächtig vorkommen, erfasst das System ebenfalls die unterbewussten Elemente.“

Diese Art der Auswertung wird durch immer leistungsstärkere Rechner möglich. Moderne Kameras können einen Großteil der Auswertung noch vor der Komprimierung der Videodaten selbst durchführen. Moderne Kompressionsverfahren sorgen dafür, dass sich auch komprimiertes Material noch gut auswerten lässt. „Allgemein geht man davon aus, dass die Analyse erst an dem komprimierten Material durchgeführt werden kann“, sagt Orwell.

Aber vor allem in der Ereignisauswertung sind die Metadaten die eigentliche Herausforderung. Sie sind im Videodatenstrom enthalten und geben Aufschluss über den aktuellen Inhalt, so dass eine schnelle Suche möglich ist. „Das wird eine große Herausforderung“, weiß Lund. „Es wird möglich sein, Aufzeichnungen zu finden, ohne sie erneut analysieren zu müssen, da die Metadaten bereits in einer Datenbank erfasst sind. So lassen sich alle Aufzeichnungen finden, auf denen ein spezieller Autotyp gefilmt wurde oder auf denen Personen eine bestimmte Linie überqueren.“

Die beiden Branchenverbände PSIA und ONVIF entwickeln gerade entsprechende Standards für die Metadaten (vgl. Artikel in dieser Ausgabe). „Die Verbände konnten sich nicht auf einen gemeinsamen Standard einigen“, bedauert Lund, „aber zwei Standards sind immer noch besser als zweihundert.“ Oder natürlich als überhaupt keine.

Auch wenn die Videoanalyse derzeit noch in den Kinderschuhen steckt, wird ihr eine sehr schnelle Verbreitung vorausgesagt. 2008 hatte der Markt einen Umfang von 47,5 Millionen Dollar. Die Analysten von IMS schätzen, dass der Markt zwischen 2010 und 2013 jährlich um durchschnittlich 24 Prozent wachsen wird. Ein Teil dieses Wachstums wird nicht im Sicherheitsbereich generiert werden, sondern beispielsweise in der Konsumforschung erfolgen, die untersucht, wie sich die Gestaltung von Verkaufsgeschäften auf die Einkaufsentscheidungen auswirkt. Der Großteil des Wachstums wird jedoch auf den Sicherheitsmärkten erwartet, denn die staatlichen und privaten Sicherheitskräfte sind sehr an den effektiven neuen Technologien interessiert.

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