Ladendiebstahl ist das größte Problem

Jedes Jahr verliert der Einzelhandel enorme Summen durch Diebstähle, begangen von Kunden und den eigenen Angestellten. Fachleute für Sicherheit und Schadensverhütung sind sich einig: Der Schutz vor Diebstahl sollte ganz oben auf der Liste der Einzelhändler stehen.

Laut einer Umfrage des US-Einzelhandelsverbands verlor der Einzelhandel in den USA im Jahr 2010 insgesamt 37,1 Milliarden Dollar durch „Schwund“. Schon im Jahr davor waren es 33,6 Milliarden Dollar gewesen. Mitarbeiterdiebstahl ist die häufigste Ursache für Schwund im Einzelhandel, 2010 machte er fast 44 Prozent der Gesamtverluste aus.

„Wir wenden viel Zeit, Energie und Geld für die Kontrolle der Mitarbeiter auf“, sagt Tina Sellers, Geschäftsbereichsleiterin Schadensverhütung bei GameStop, dem größten Einzelhändler für Videospiele und Unterhaltungssoftware mit weltweit 6.500 Geschäften.

Zuverlässigkeitsprüfungen und Überwachungskameras an den Verkaufsregalen und im Kassenbereich sind nur einige der Werkzeuge von Schadensverhütungsprofis. „Bei meinem Job geht es auch darum, die Versuchung im Keim zu ersticken“, fügt sie hinzu.

Schadensverhütungsexperten kümmern sich nicht nur um die Überwachung. Bei teurer Unterhaltungselektronik besteht bei Einzelhändlern oft die Versuchung, alles gut wegzuschließen. Aber darunter kann der Umsatz leiden.

Untersuchungen bei GameStop haben gezeigt, dass ausgewählte Premiumprodukte durchaus ungeschützt in den Verkaufsbereichen präsentiert werden können. „Oft haben die höheren Umsätze die angestiegenen Diebstahlszahlen kompensiert“, erklärt Sellers.

Neue Kanäle für Diebe

Sicherheits- und Schadensverhütungsexperten haben sich auf die aktuellen technologischen Entwicklungen eingestellt. Fred Tarasoff gehört in Kanada zu den bekanntesten Experten für Schadensverhütung im Einzelhandel. Er arbeitet seit über 25 Jahren in diesem Sektor und fragt Ladendiebe regelmäßig nach ihren Tricks.

„Vor dem Internet-Zeitalter lief der Verkauf der gestohlenen Ware noch ganz anders ab“, sagt Tarasoff. „Geklaute Produkte konnte man nur an Freunde oder in einer Bar oder auf dem Flohmarkt verkaufen. Moderne Auktionsportale haben die Hehlerei viel einfacher gemacht. Für den Einzelhandel ist das ein echtes Problem.“

GameStop hat einen Mitarbeiter extra dafür eingestellt, im Netz nach gestohlenen Produkten zu suchen und die Unternehmens-Website auf Betrugsversuche zu überwachen, wenn beispielsweise jemand versucht, mit einer gestohlenen Kundenkartennummer einzukaufen. „Vor zwei Jahren gab es diese Stelle noch nicht“, sagt Sellers. „Aber seit dem Aufkommen des Internets haben die Betrugsversuche deutlich zugenommen.“

Im Netz tauschen sich Gelegenheitsdiebe aus, wie sie die Sicherheitsmaßnahmen der Unternehmen umgehen können. Tarasoff hat im Internet nachgeforscht, wie die Betrüger die Sicherheitssperren aushebeln wollen. „Online können sich die Diebe sehr gut informieren“, bedauert er.
SMS und ähnliche Formen der Sofortkommunikation sind in der Szene angesagt. Der aktuelle Trend sind „Flash Robs“: Mehrere Personen verabreden sich, zu einer bestimmten Zeit in ein bestimmtes Geschäft zu stürmen, alles Interessante mitzunehmen und dann schnell wieder zu verschwinden. Mit SMS können sich Diebe gegenseitig warnen oder einen Partner anweisen, das Sicherheitspersonal abzulenken.

Technologie fördert und verhindert Schwund

Neue Technologien stellen Einzelhändler aber nicht nur vor neue Herausforderungen, sondern geben ihnen auch neue Schutzmittel an die Hand. Nicht nur die Diebe werden immer raffinierter, sondern auch die Werkzeuge, um sie aufzuhalten.

Mike Jackson ist als Berater bei der Security Research Group tätig, einer Sicherheitsberatungsfirma mit Sitz in Kalifornien. Er nennt als Beispiel für die neuen Schutztechnologien die intelligente Videoüberwachung, eine Form der Videoanalyse, die automatisch verdächtige Bewegungen erkennt.

Intelligente Videoüberwachungssysteme arbeiten mit speziellen Regelwerken und wenn die Videosoftware zu der Einschätzung kommt, dass ein Kunde, der eine gewisse Zeit lang in einem bestimmten Bereich stehen bleibt, ein Dieb sein könnte, benachrichtigt sie das Sicherheitspersonal. „Da die Technologie unabhängig arbeitet, benötigt der Betreiber kaum Überwachungspersonal, kann also seine Kosten senken und die Produktivität steigern“, sagt Jackson.

„Digitale Webkameras mit Streaming-Funktionen, auf die online von überall zugegriffen werden kann, revolutionieren die Sicherheit im Einzelhandel, und Cloud-Technologie macht die Datenspeicherung flexibler. Auch Kameras mit Gesichtserkennung gehören zu den aktuellen Trends im Kampf gegen Schwund. Ladendiebe, die in einer Datenbank gespeichert sind, können von der Überwachungssoftware beim Betreten des Ladens identifiziert werden. Diese Technik ist aber sehr teuer“, schränkt Jackson ein.

Finanzielle Grenzen

Die Kosten der neuen Technologien können die Effektivität der Schadensverhütung begrenzen, klagt Sellers: „Die Sicherheitsbranche wünscht sich schon seit langem, dass die RFID-Technik deutlich kostengünstiger wird. Günstige RFID-Technik würde uns zum Beispiel die Möglichkeit geben, den Warenbestand auf seinem Weg von der Anlieferung bis zur Kasse lückenlos zu kontrollieren.“

Für kleinere Einzelhändler mit begrenztem Budget gibt es kostengünstige Alternativen. In sogenannten CPTED-Programmen erfahren sie, wie sie durch richtige Gestaltung der Einkaufsbereiche potenzielle Ladendiebe abschrecken können. CPTED steht für „crime prevention through environmental design“, also für eine Landschafts- und Gebäudeplanung, bei der auf Verbrechensprävention geachtet wird. Typische CPTED-Beispiele sind Straßen und Parks mit unverstellter Sicht und die gezielte Lenkung von Fußgängerströmen durch kameraüberwachte Bereiche.

Sicherheitsexperten müssen sich auf die neuen Technologien einstellen. Aber was kommt als nächstes?

Sellers nennt den Kundenwunsch nach besserem Service, zum Beispiel den Trend zum „On-the-Spot Checkout“: Die Angestellten tragen eine mobile Kasse bei sich und der Kunde kann an jeder beliebigen Stelle im Laden zahlen. „In so einer Situation lassen sich die Bezahlvorgänge nicht mehr zuverlässig überwachen. Früher oder später wird das auf alle Einzelhändler zukommen und wir müssen darauf vorbereitet sein. Die Überwachung muss das gesamte Ladengeschäft erfassen, nicht nur den Kassenbereich.“

Leider, so Sellers, nimmt der Ladendiebstahl gerade in Zeiten schwacher Konjunktur zu – also genau dann, wenn es schwieriger wird, die Einzelhändler von Investitionen in Sicherheitsmaßnahmen zu überzeugen. „Wenn sich die Wirtschaftslage verschlechtert, sind die Einzelhändler geneigt, den Aufwand für die Schadensverhütung zurückzufahren. Damit stehen wir vor der Aufgabe, mit weniger Mitteln mehr zu erreichen“, sagt sie. „Die Schadensverhütung ist wie ein stehendes Heer. Ich brauche das Heer, die Überwachungskameras und die Sicherheitssoftware, um den Gegner abzuschrecken. Ich will Ärger vermeiden, damit es gar nicht erst zu Angriffen kommt.“

Von Rachel Sa

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