Informationslecks stopfen

Früher war das Bankwesen in den USA durch einen hohen Grad an Spezialisierung gekennzeichnet. Es gab Investmentbanken, Geschäftsbanken, Maklerfirmen und viele weitere Finanzdienstleister, die sich auf ausgewählte Marktsegmente spezialisiert hatten. Mittlerweile hat sich die Lage geändert: Heute wollen viele Dienstleister in allen Marktsegmenten tätig sein. Die US-Regierung hat die Gesetze entsprechend angepasst.

Das hat jedoch zu einem Problem geführt: Wenn eine Investmentbank größere Anteile an einem Unternehmen hält und eventuell sogar im Vorstand vertreten ist, erhält sie möglicherweise vertrauliche Informationen, die ihre Bereitschaft beeinflussen, dem Unternehmen – oder dessen Konkurrenten – Geld zu leihen. Dabei bekommt die Bank auch Zugang zu Wissen, das ihr bei der Beratung anderer Kunden helfen kann, etwa wenn es um die Frage geht, ob ein Kunde die Aktien des Unternehmens kaufen soll, was wiederum Auswirkungen auf den Börsenkurs des Unternehmens haben kann – und damit das Eigeninteresse der Investmentbank berührt. Die Bank gerät in Versuchung, die Insider-Informationen, die sie als Investor hat, bei ihren eigenen Aktiengeschäften auszunutzen.  

Diese Interessenkonflikte haben in der Vergangenheit zu handfesten Skandalen geführt: So haben Banken, die Aktien eines Unternehmens gekauft haben, ihren Kunden ebenfalls zum Kauf geraten und dadurch den Aktienkurs manipuliert. Es kam auch vor, dass die Analystenabteilung einer Bank die Performance eines Unternehmens, an dem die Bank beteiligt war, viel zu positiv beurteilt hat.  

Chinesische Mauern
Um ihren ramponierten Ruf wiederherzustellen, haben die Investmentbanken „chinesische Mauern“ in ihren Unternehmen errichtet. Diese virtuellen Mauern trennen die einzelnen Bereiche der Bank voneinander und verhindern den Informationsfluss zwischen den Abteilungen.  

Technik, die verhindern soll, dass Mitarbeiter real oder virtuell in andere Abteilungen gelangen, spielt zunehmend eine wichtige Rolle. ASSA ABLOY hat gemeinsam mit Cisco Systems ein Schutzsystem entwickelt; es stellt sicher, dass die Mitarbeiter nur auf die IT-Bereiche zugreifen können, die ihrem jeweiligen Arbeitsbereich zugeordnet sind.

„Die Tür gilt als Teil der IT-Infrastruktur“, sagt Eric Michélsen, der bei ASSA ABLOY für die Zusammenschaltbarkeit von EDV-Systemen zuständig ist. „Bei unserer Lösung wird sowohl der mechanische Zugang als auch die Anmeldung im EDV-System vom gleichen Autorisierungs-Server gesteuert.“ Das System prüft die Identität des Karteninhabers. Dazu setzt es unterschiedliche Identifizierungsverfahren ein, darunter eine PIN-geschützte Zugangsberechtigungskarte, einen Passwortschutz und einen Fingerabdruckscanner für den Login.

Interessenkonflikte
Die Richtlinien der niederländischen ING-Bank vermitteln einen guten Eindruck von dieser Art der chinesischen Mauer: „ING hat Richtlinien, Verfahren und mechanische Sperren eingerichtet (nachstehend „chinesische Mauern“), die vertrauliche Daten schützen und die unerwünschte Weitergabe sowie den Missbrauch von Insiderinformationen verhindern sollen … Die chinesischen Mauern sollen als Barrieren gegen die Weitergabe von Insiderinformationen und vertraulichen Daten dienen und beim Umgang mit Interessenkonflikten helfen.“  

ING-Sprecherin Carolien van der Giessen erklärt: „Das ING Investment Management befindet sich absichtlich nicht im gleichen Stock wie die Fondsmanager, die das Fremdvermögen verwalten. Zusätzlich wird der Zugang zur Abteilung überwacht.“  

Bei Interessenkonflikten „können wir zusätzliche Maßnahmen durchführen, indem wir mögliche Konflikte öffentlich machen, bestimmte Handlungen unterlassen (beispielsweise unser Stimmrecht nicht ausüben) oder ein Mandat ablehnen.“  

Menschen wollen reden
Offenheit ist eine wichtige Frage, davon ist Nejat Seyhun überzeugt. Der Professor, der an der Wirtschaftsuniversität Michigan lehrt, behauptet in seiner Studie „Insiderhandel und die Effektivität von chinesischen Mauern in Wertpapierhäusern“, die im Journal of Law, Economics and Policy erscheinen wird, dass die chinesischen Mauern häufig durchlässig sind und Investmentfirmen, die im Vorstand anderer Unternehmen vertreten sind, das Insiderwissen oft in ihre Investmententscheidungen einfließen lassen. „Ich glaube nicht, dass die Kunden wissen, was mit ihren Informationen passiert“, sagt er gegenüber dem Future Lab. Die Kunden „sollten davon ausgehen, dass die chinesischen Mauern durchlässig sind“; sie sollten verlangen, über alle Aktienkäufe und -verkäufe informiert zu werden und sie sollten den Kurs ihrer Aktien kurz vor und nach dem Ausführen ihrer Verkaufs- und Kaufaufträge kontrollieren.  

Professor Seyhun glaubt nicht, dass sich das Problem rein technisch lösen lässt: „Wenn es finanziell interessant ist, Insiderinformationen zu nutzen, wird es immer Menschen geben, die das auch tun“. Durch Computersysteme kann der Schaden jedoch begrenzt werden, denn „Sie können feststellen, wer bei bestimmten Ereignissen Zugriff hatte und für diese Personen ein Aktienhandelsverbot aussprechen. Falls gegen dieses Verbot verstoßen wird, informieren Sie den Kunden.“  

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