Einheitliche Videostandards
Das ONVIF (Open Network Video Interface Forum) definiert Standards für internetfähige Überwachungskameras. ONVIF ist eines von zwei neuen Gremien, die sich um eine Vereinheitlichung in der Branche bemühen.
Im analogen Zeitalter hatten es die Hersteller von Videoüberwachungsanlagen relativ leicht: Ihre Kameras mussten lediglich PAL oder NTSC beherrschen. In Europa und vielen anderen Ländern kam PAL (Phase Alternate Line) zum Einsatz, während NTSC (National Television System Committee) in Nord- und Südamerika sowie in Teilen Ostasiens dominierte.
Damals war die Welt der Videostandards noch überschaubar. Die Entscheidung für einen der beiden Standards war praktisch automatisch durch die Region vorgegeben.
Aber dann kamen Internet, Globalisierung und Digitalisierung – und damit das Ende der bewährten Videostandards. Die Regeln, die in der analogen Welt fast ein Jahrhundert lang galten, wurden den neuen Anforderungen nicht mehr gerecht. Für die komplexen Digitalsignale, die im Internet über große Entfernungen übertragen werden mussten, reichten die herkömmlichen Protokolle für die analoge Signalumwandlung nicht mehr aus.
Die Hersteller statteten die neuen Kameras mit proprietären Technologien aus. Für die Anwender gestaltete sich der Anbieterwechsel damit zu einer aufwändigen und teuren Angelegenheit – wenn sie Pech hatten, verweigerten die Geräte unterschiedlicher Hersteller von vornherein die Zusammenarbeit.
„Bei der Online-Kameraüberwachung gab es viele Probleme“, erinnert sich Tony Yang, International Marketing Director bei Hikvision Digital Technology. „Nichts war kompatibel.“
Doch schon bald gründeten die drei Großen der Branche – Axis Communications, Bosch Security Systems und Sony – eine Arbeitsgemeinschaft zur Standardisierung.
Das 2008 gegründete Open Network Video Interface Forum sollte die internetbasierte Videoübertragung vereinheitlichen. Heute gehören über 200 Mitgliedsunternehmen zu ONVIF. Der aktuelle ONVIF-Standard hat die Versionsnummer 1.2. Version 2.0 wird für Ende 2010 erwartet. Während die erste Version der ONVIF-Protokolle hauptsächlich Videostandards definierte, werden die Folgeversionen auch Standards für Zugangskontrollen festschreiben.
„Es hat sich gezeigt, dass die meisten Unternehmen an einer Standardisierung interessiert sind“, sagt Yang, der Vorsitzende des ONVIF-Kommunikationsausschusses. „Das gilt für alle Regionen – die USA, Europa und Asien gleichermaßen.“
Der Wunsch nach Vereinheitlichung ist relativ neu. Yang erinnert sich, dass Hikvision anfänglich unschlüssig war, ob ein universeller Standard wirklich im eigenen Interesse ist. Hikvision hatte bereits einen soliden Marktanteil und die Hinwendung zu einem offenen Protokoll würde das Unternehmen stärker der Konkurrenz aussetzen.
„Wir fragten uns, ob wir dabei wirklich mitmachen sollten, denn dann würden wir unseren Marktvorteil verlieren. Aber uns war auch klar, dass die Standardisierung unvermeidlich war. Der Markt stand vor einem Wachstumssprung und durch eine Standardisierung könnten wir von diesem Wachstum profitieren.“
Andreas Schneider, Europe Technology Standards Officer bei Sony und Vorsitzender des Technical Services Committee von ONVIF, sieht das auch so. Sony gehört zu den Gründungsmitgliedern von ONVIF und betrachtet die Standardisierung als wichtigen Schritt zur Etablierung der Online-Kameraüberwachung.
„Wer den Markt ausbauen und die Migration von Analoggeräten zu digitale Onlinegeräten fördern will, muss diesen Weg gehen“, erklärt Schneider. „Herstellereigene Sonderlösungen helfen da nicht weiter. Früher hat jeder Hersteller seine eigene Insellösung auf den Markt gebracht. Doch wenn Anwender ihre Einzelsysteme integrieren wollen, bieten Standards deutliche Vorteile. Das gilt für den Integratoren und Endanwender gleichermaßen.“
Internetfähige Überwachungstechnik, die auf einem einheitlichen Protokoll basiert, lässt sich viel einfacher austauschen. Dabei ist es egal, von welchem Anbieter die Geräte stammen, solange dieser die ONVIF-Vorgaben einhält. Der Anwender hat eine größere Auswahl und für die Systemintegratoren vereinfacht sich die Arbeit.
Ein allgemeines Standardprotokoll ist zweifellos wichtig. Aber ONVIF ist nicht der einzige Akteur auf dem Markt. Im Rahmen der Physical Security Interoperability Alliance (PSIA) entwickelt Branchenriese Cisco ebenfalls einen Standard für internetfähige Sicherheitsanlagen.
Die Branche reagiert uneinheitlich auf diese Entwicklung. Einige Unternehmen legen sich auf eine der beiden Spezifikationen fest, während Hikvision und andere Firmen beide Standards unterstützen.
Bei der Gründung von ONVIF und PSIA gingen viele Beobachter davon aus, dass die beiden Standards sich in unterschiedlichen Regionen etablieren würden, wie damals PAL und NTSC. Yang erinnert sich: „Wir glaubten, dass sich ONVIF in Europa und PSIA in Amerika durchsetzen würde. Aber es ist anders gekommen. Wir haben Kunden aus den unterschiedlichsten Regionen, die beide Standards brauchen. Beide Standards sind universell konzipiert und wenn unsere Kunden beide Standards haben wollen, bekommen sie die auch.“
Letztlich haben ONVIF und PSIA das gleiche Ziel: Sie fördern die Entwicklung internetfähiger Überwachungsgeräte, die untereinander kompatibel sind.
„Wer Neuland betritt, geht immer ein Risiko ein“, sagt Schneider. „Als wir bei Sony den Schritt von der analogen zur internetfähigen Technik gemacht haben, war uns klar, dass der Markt nach Standards verlangte und dass Standards nicht nur die gesamte Branche weiterbringen, sondern auch unsere Position als führenden Anbieter von internetfähigen Überwachungslösungen stärken würden. Auf einen Plan B haben wir verzichtet. Wir kannten unsere Ziele und wussten, dass wir Standards brauchten, um sie zu erreichen.“